BMJ will Justiz Digitalisierung der Justiz weiter vorantreiben
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat am Mittwoch, den 25. Oktober 2023, einen
Referentenentwurf zur weiteren Digitalisierung der Justiz veröffentlicht und zugleich an die die Länder und Verbände zur Stellungnahme versendet. Ziel ist es, die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter zu fördern. Geplant sind unter anderem folgende Änderungen:
- Das Unterschriftserfordernis für schriftliche Erklärungen von Bürgerinnen und Bürgern bei Strafverfolgungsbehörden, etwa bei Strafanträgen, soll abgeschafft werden.
- Die digitale Kommunikation mit den Gerichten soll verbessert werden. Etwa sollen künftig auch Scans von schriftlich einzureichenden Anträgen und Erklärungen elektronisch übermittelt werden können.
- Bislang in Papier begonnene Akten sollen schneller auf die E-Akte umgestellt werden können, indem die Hybridaktenführung zugelassen wird. Dadurch müssen nicht alle bisherigen Papierakten eingescannt werden.
- Die Möglichkeit der Zuschaltung per Videokonferenz soll auch in der Revisionshauptverhandlung eingeführt werden.
Das Bundesjustizministerium erläutert die einzelnen Punkte folgendermaßen:
Digitale Strafanträge
Bislang können Strafanträge für Straftaten mit Antragserfordernis nur schriftlich (also in der Regel mit Unterschrift auf Papier) oder elektronisch über einen sog. sicheren Übermittlungsweg gestellt werden. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) findet, dass hier “immer noch notwendige Unterschriften mit Stift und Papier (…) hier wie Sand im Getriebe“ wirkten. „Das ist nicht nur lästig, sondern sorgt auch für unnötigen Mehraufwand in der Verwaltung.”
Künftig soll daher auch ein Strafantrag per E-Mail oder Online-Formular (z.B. bei einer Internetwache) möglich sein, wenn die Identität der antragstellenden Person und ihre Bitte um Verfolgung der Straftat eindeutig erkennbar werden. Buschmann erläutert, wie er sich das Verfahren künftig vorstellt: „Wer zum Beispiel über eine Internetwache eine Strafanzeige stellt, kann den Strafantrag gleich digital miterledigen.“
Auch bei anderen Erklärungen im Strafverfahren, wie etwa der Einwilligung in eine DNA-Identitätsfeststellung, soll künftig eine Unterschrift entbehrlich sein. So soll das Ausdrucken und Wiedereinscannen vermieden werden.
Elektronische Kommunikation mit Gerichten
Anträge oder Erklärungen von Mandantinnen und Mandanten sollen von der Anwaltschaft künftig als Scan an die Gerichte übermittelt werden. Trotz der seit 2022 bestehenden Pflicht, Schriftsätze elektronisch zu übermitteln, müssen – soweit für eine Erklärung ihrer Mandanten verfahrensrechtlich die Schriftform angeordnet ist – diese bislang in aller Regel in Papierform eingereicht werden. Künftig soll es ausreichen, dass ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin beispielsweise den unterschriebenen Insolvenzantrag ihres Mandanten als eingescanntes Dokument an das Gericht übermittelt. Gelingen soll das durch eine Formfiktion: Die übermittelten Dokumente sollen trotz vorgeschriebener Schriftform als in dieser Form zugegangen gelten, wenn sie insbesondere auf einem sicheren Übermittlungsweg als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht werden.
Zudem soll die Kündigung durch einen elektronischen Schriftsatz (Schriftsatzkündigung) ermöglicht werden. Bislang erfüllen empfangsbedürftige Willenserklärungen, die in elektronisch an das Gericht übermittelten Schriftsätzen enthalten sind, häufig nicht die Anforderungen an materielle Schriftformerfordernisse. Nun soll im Interesse einer medienbruchfreien digitalen Kommunikation die Schriftform als gewahrt gelten, wenn sie in einem Schriftsatz als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger übermittelt wird.
Auch die digitale Rechnungsstellung von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten soll erleichtert werden. Indem auf eine Unterzeichnung der Berechnung verzichtet wird, sollen Rechnungen ohne Medienbrüche elektronisch erstellt und übermittelt werden können.
Schließlich soll die Kommunikation von Unternehmen mit der Justiz erleichtert werden. Dazu soll das Organisations-Konto des Unternehmens nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG) an das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach angebunden werden können. Hierfür soll auch das Identifizierungsverfahren ELSTER zugelassen werden. Im Insolvenzrecht soll die elektronische Forderungsanmeldung künftig in allen Verfahren möglich sein.
Umstieg auf die elektronische Akte
Ab dem 1. Januar 2026 müssen alle neu angelegten Akten in der Justiz elektronisch geführt werden. Derzeit pilotieren die Länder und der Bund die E-Akte. Akten, die aus elektronischen Teilen und Papierteilen bestehen (sog. Hybridakten), sind bislang grundsätzlich nicht erlaubt.
Künftig sollen verschiedene Formen der Hybridaktenführung ermöglicht werden. So sollen vor allem bereits angelegte Papierakten elektronisch weitergeführt werden dürfen. Ziel ist es, ressourcenintensive Scan-Arbeiten zur Digitalisierung der Altaktenbestände zu vermeiden und einen Umstieg auf die elektronische Akte zu vereinfachen. Justizminister Buschmann sagte hierzu: „Den Ländern geben wir eine wichtige Starthilfe beim Umstieg auf die E-Akte. Mit der neuen Möglichkeit einer Hybridakte können sie bereits loslegen, ohne dass zuvor meterweise Altaktenbestände aufwändig digitalisiert werden müssen.“
Geheimhaltungsbedürftige Dokumente und Aktenteile (Verschlusssachen), die höher eingestuft sind als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, sollen für einen Übergangszeitraum von zehn Jahren bis zum 31. Dezember 2025 neben der elektronischen Akte weiterhin in Papierform angelegt, übermittelt und geführt werden dürfen. Konkret soll das für die Geheimhaltungsgrade „STRENG GEHEIM“, „GEHEIM“ und „VS-VERTRAULICH“ gelten. Auch soll die Beigabe von Verschlusssachen in Papierform zur elektronischen Akte per Hybridaktenführung zugelassen werden.
Schließlich soll es Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung in Strafsachen bei umfänglichen Akten geben. Aktuell erfolgt die Übermittlung elektronischer Akten zwischen aktenführenden Behörden und Gerichten untereinander meist über das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Die Übermittlung über das EGVP ist jedoch mengenmäßigen Limitierungen unterworfen, die im Einzelfall beim Aktenversand überschritten werden können. In solchen Fällen soll die Übermittlung auf einem physischen Datenträger ermöglicht werden.
Teilnahme an der Revisionshauptverhandlung per Videokonferenz
An der strafgerichtlichen Hauptverhandlung im Revisionsverfahren sollen künftig Angeklagte, Verteidigerinnen und Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft per Videokonferenz teilnehmen können, wenn sie dies beantragen.
Nach dem geltenden Recht dürfte eine derartige Zuschaltung nicht zulässig sein, so der Gesetzentwurf. § 226 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) schreibe nach Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte die körperliche und gleichzeitige örtliche Anwesenheit der zur Urteilsfindung berufenen Personen sowie der Staatsanwaltschaft und grundsätzlich eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vor. In der Rechtsmittelinstanz bestehe aber anders als in der Tatsacheninstanz kein zwingender Grund für eine körperliche Anwesenheit, weil in aller Regel ausschließlich Rechtsfragen behandelt würden und kein persönlicher Eindruck von einer Person vermittelt oder aufgenommen werden müsse.
Weiteres Verfahren und Hintergrund
Die interessierten Kreise haben nun Gelegenheit, bis zum 28. November 2023 zum aktuellen Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden auf der Seite des BMJ veröffentlicht. Der daraufhin möglicherweise noch einmal überarbeitete Entwurf des BMJ wird dann in die Regierungsabstimmung gegeben werden.
Hintergrund der Gesetzesinitiative ist auch, dass Deutschland sich mit der 2015 beschlossenen UN-Agenda 2030 dem Ziel nachhaltiger Entwicklung verpflichtet hat – hierzu gehört auch der Ausbau zeitgemäßer Justizsysteme. Im Gesetzentwurf steht, dass die rechtzeitige Erreichung der Ziele der Resolution derzeit gefährdet sei.
Bereits am 13. Oktober 2023 fiel im Übrigen der Startschuss für ein weiteres Projekt der Digitalisierung der Justiz: Das Pilotprojekt „Mein Justizpostfach (MJP)“ für Bürgerinnen und Bürger. Der Dienst soll ihnen eine digitale, rechtssichere und kostenlose Kommunikation mit der Justiz ermöglichen. Sie können damit zum Beispiel rechtswirksam Klagen bei Gericht einreichen oder Dokumente wie Mietverträge oder Bußgeldbescheide sicher elektronisch an ihre Rechtsanwältin oder ihren Rechtsanwalt übermitteln.